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Was ist Glück eigentlich -
und kann ich bitte mehr davon haben?

Ich bin jetzt 26, und gerade arbeitssuchend. Ich sage eigentlich lieber arbeitsfindend – es kommt schließlich immer auf die Perspektive an. Mein Privileg ist, dass ich mir keine Sorgen machen muss und das eigentlich auch weiß. Warum aber mache ich sie mir trotzdem? Tatsächlich mache ich mir sogar ständig so viele Sorgen, dass meine Mutter mich regelmäßig daran erinnern muss, damit aufzuhören. Meine Sorgen hängen unter anderem mit Geld und Karriereaussichten zusammen. Ich habe Angst davor, dass ich keine Freunde finde, irgendwann vielleicht doch auf der Straße lande. Davor, dass ich oder meine Katzen irgendwann schwer krank werden, oder dass der Fakt, dass ich überhaupt Katzen habe, mir mein ganzes Leben verbaut, weil ich dadurch so unflexibel bin. Das ist anstrengend und nervt und macht mich offensichtlich nicht zufriedener, denn durch die sogenannte Confirmation-Bias bzw. zu Deutsch Bestätigungsfehler, sucht mein Unterbewusstsein in meiner Umwelt nach Bestätigung für die Dinge, die ich denke.
Und obwohl ich faktisch weiß, dass diese Sorgen Bullshit sind, kann ich trotzdem nicht aufhören, darüber nachzudenken. Warum?
Jeder Mensch hat quasi eine Happiness-Baseline, zu der eine Person immer wieder zurückkehrt, egal, was passiert. In einer Studie von 1978 ( https://pubmed-ncbi-nlm-nih-gov.translate.goog/690806/ ) hat man herausgefunden, dass es zwischen Menschen, die im Lotto gewonnen haben, und Menschen, die nach einem Unfall querschnittsgelähmt waren, kaum einen mehr Unterschied gab, nachdem sich ihr Leben wieder eingependelt hat. Also, Menschen kehren nach riesigen Lebensereignissen jeweils zu ihren Glücklichkeits-Startpunkten zurück, egal ob das Ereignis ihr Leben „positiv“ oder „negativ“ beeinflusst hat.
Das heißt, dass meine Tendenz, mir Sorgen zu machen, mich auf dem Teppich hält. Alles, was sich außerhalb der etablierten Komfortzone befindet, ist gruselig, egal, ob es sich um etwas Positives oder Negatives handelt, und deshalb tut das Unterbewusstsein sehr viel, um mich zu meinem Ausgangspunkt in bekannte Gefilde zurückzubringen.
Meinem Befinden nach liegt meine Baseline aber zu tief, denn ich kann merken, dass ich mich selbst sabotiere, sobald ich glücklicher werde, und die Möglichkeiten, die mir diese menschliche Erfahrung bietet, nicht ausschöpfe und das macht mich traurig. Ironischerweise macht mich das glücklich, denn das ist, was ich kenne. Wie komme ich da raus?
Die Glücksforschung und positive Psychologie sind riesige Felder, die sich kurz und knapp gar nicht so zusammenfassen lassen, auch, wenn ich anmerken muss, dass Akademiker Dinge ungern auf den Punkt bringen, weil sie sich selbst gern reden hören (hehe ich auch) und damit sie den Freiraum haben, ihre Meinung zu ändern.
Von dem, was ich verstanden habe, geht das aber. Die meisten Gehirne sind flexibel und größtenteils veränderbar. Das nennt sich Neuroplastizität und ist ungefähr einer der faszinierendsten Fakten übers Gehirn. Meine Meinung. Das ist die Umbaufähigkeit des Gehirns. Macht Sinn. Bei manchen Menschen dauert der Umbau länger und bei anderen nicht ganz so lange. Von wo man startet, hängt von biologischen, neurologischen und psychologischen Faktoren ab, auf die man bis zu einem gewissen Punkt zwar keinen Einfluss hatte, dieser gewisse Punkt ist aber, von dem, was ich bisher bei mir und anderen beobachten konnte, Einsicht. Der erste Schritt, ihr wisst, auf dem Weg zur Besserung. Die Neuroplastizität kann man übrigens steigern und dann profitiert das ganze Gehirn davon. Man muss nur regelmäßig neue Sachen machen. Mit links Zähne putzen oder beim Kochen auf einem Bein stehen und plötzlich fällt die nächste Duolingo-Lesson ganz leicht.
Und meine neueste Einsicht war, dass die Art und Weise, wie ich denke, mich nicht glücklich macht. Die Sorgen machen mir Angst, Stress, verhindern, dass ich Chancen ergreife oder mich mit anderen Menschen verbinde (ich RENNE wortwörtlich – regelmäßig vor Leuten weg, die ich cool finde oder rede einfach gar nicht mit ihnen) und sorgen dafür, dass obwohl ich Ziele erreiche und stolz sein sollte, diese direkt vom nächsten irrationalen Gedanken oder dem Spurt zum nächsten Ziel überschattet werden.
Das will ich ändern. Aber wie mache ich das?
Ich kann nicht nur von einer Seite, wie z.B. der intellektuellen an sich arbeiten, sondern muss meinem Fortschritt auch entgegenkommen, indem ich mich meinen Erkenntnissen entsprechend verhalte. Ich kann nicht nur darüber nachdenken, dass ich Muskelmasse aufbauen möchte, sondern muss tatsächlich auch die Muskelgruppen beanspruchen und meine Ernährung anpassen, wenn das passieren soll. Oder, dass ich ein Buch tatsächlich auch lesen muss, um zu wissen, worum es geht. Oder, dass ich diesen Artikel schreiben und hochladen muss, damit er nicht nur für mich existiert. Der Gedanke allein reicht nicht, egal, wie sehr ich das möchte. In der Instagram-New-Age-Spiritualität nennt man das Aligned Action. (Auch, wenn ich ziemlich sicher irgendwo mal gelesen habe, dass  Probanden, die visualisiert haben, wie sie Sit-Ups machen, tatsächlich größere Fortschritte als die Kontrollgruppe gemacht haben, aber das könnte ich auch geträumt haben.)
„Glück“ ist aber schon ein abstrakter Begriff, der für viele Menschen viele verschiedene Dinge bedeutet. Wenn ich persönlich „Glück“ auf die Happiness-Baseline beziehe, dann würde ich das Ganze als eine Art Grundzufriedenheit oder Seelenfrieden, und durch äußere Umstände nicht beeinflussbar deuten. Ein bisschen wie ein tief verwurzelter Baum. Der Sturm kann mir die Blätter oder ganze Äste abreißen, meine Wurzeln bleiben bestehen.
„Glück“ ist für mich unabhängig meiner Emotionen, auch wenn meine Emotionen mir wie ein Kompass zeigen, wo das Glück (in mir) zu finden ist. Das heißt, wenn ich traurig bin, macht mich das eigentlich doch nicht glücklich, sondern gibt mir nur ein Gefühl von Sicherheit, denn traurig ist, was ich kenne. (Upsi, das klingt trauriger als ich dachte. Aber what shells, ‘ne, et is‘ wattet is‘)
Allerdings handelt es sich bei Glück für mich nicht um die vollständige Abwesenheit von Emotionen, und ich glaube, dass der Begriff gerade deshalb so schwierig zu definieren ist.
Denn Glück ist ja… nicht unglücklich zu sein? Und dafür muss man ja… positiv… eingestellt sein?
Ich glaube (und Achtung! jetzt wird’s deep), dass die Essenz von Glück Dankbarkeit ist, und Dankbarkeit bewegt sich irgendwo zwischen Gefühl und Mindset. Vielleicht kann man sie als Lebenshaltung bezeichnen, denn man kann sich schließlich bewusst dazu entscheiden, dankbar zu sein. Ich hatte lange Zeit Probleme damit, Dankbarkeit für mich authentisch auszudrücken, weil ich dachte, dass ich vor Freude in die Luft springen müsste, um sie zu zeigen. Tatsächlich bin ich aber in manchen Situationen so absolut unexpressiv, dass Außenstehende denken könnten, ich hätte gerade die schlechteste Zeit meines Lebens. Ich arbeite seit Jahren daran, dass es für mich nicht unangenehm ist, FreundInnen zu sagen, dass ich eine gute Zeit hatte. Schlussendlich ist Dankbarkeit aber etwas Persönliches und Individuelles und es kommt vollkommen auf die Situation an, in der man sich befindet. Manchmal heule ich vor Erleichterung und Dankbarkeit, manchmal glotze ich einfach für 30 Sekunden wie ein Schaf in Baumkronen, die gerade vom Wind geschüttelt werden.
Ich bin der festen Überzeugung, dass im Ausdruck der eigenen Dankbarkeit der Schlüssel liegt, um seine Happiness-Baseline anzuheben. Ganz oft muss ich an eine Freundin von mir denken, die – zwar bezogen auf ein anderes, aber ähnliches Thema – meinte, dass sie nicht glauben kann, dass es so simpel ist. Und I swear to the Universe, it is. In den meisten Fällen ist es das. Ich glaube, dass viele Faktoren in die kollektive Annahme spielen, dass Dinge kompliziert sind oder sein müssen. (Simpel bedeutet übrigens nicht leicht oder einfach :-))

Einen großen Teil schreibe ich dem Kapitalismus zu. Niemand kauft lieber Unmengen an Fitness-Equipment, Ernährungsberatern, Nahrungsergänzungs- und Abnehm-Wundermitteln, Make-Up, Hair- und Skincare als Menschen, denen eingeredet wurden, dass ihr Körper hässlich ist. Das hier soll keine Kapitalismus-Kritik werden (vielleicht auch doch) und ich will nicht die ganze Zeit auf der Bodyimage-Welle reiten, aber man muss die Rolle der (Konsum-)Gesellschaft und (westlichen) Kultur, in der die Menschen sich bewegen, anerkennen.
Jeder Mensch mit Meinung hat die ultimative Geheimwaffe für jedes Problem und erklärt das gerne so kompliziert und langwierig wie möglich. Ratgeber und Forschungen streiten sich um die Top-5 Glücksgaranten: ein reges Sozialleben, Unabhängigkeit, die eigenen Gefühle ausleben, finanzielle Sicherheit, Hochzeit (was machen Menschen, die Probleme mit Intimität haben und sich nicht einfach in die nächste Party schmeißen können oder Menschen, die einfach nicht viel Geld verdienen?) und das alles fällt xyz Menschen ja schwerer und es ist alles nicht so einfach. Ein 5-Seitiges Selbsthilfebuch verkauft sich einfach nicht so gut. Und der reine Fakt, dass man sich gesundheitlich nach vorne katapultiert, wenn man seinen Zucker-, Fleisch- und Alkoholkonsum reduziert und lernt, zu meditieren, ist so einfach, dass es den meisten Menschen nicht genügend Ausflüchte lässt, um der eigenen Komfortzone treu zu bleiben. Also werden Dinge verkompliziert, bis man sich selbst in die Sackgasse gedacht hat und weiter treuer Kunde bleibt.
Ein Mantra übrigens, das mir hilft, wenn ich wieder in den Self-Hate-Strudel gerate, ist, dass die Ästhetik meines Körpers nicht darin liegt, wie er aussieht, sondern in dem, was er kann und mir ermöglicht. Ästhetik ist die Lehre der Schönheit und Schönheit ist nicht (nur) Optik.
Darin findet sich auch die Idee mit der Dankbarkeit wieder. Ich blende nicht vollkommen aus, dass ich vielleicht unzufrieden damit bin, wie manche Teile meines Körpers aussehen oder sich anfühlen, dass meine Wohnung vielleicht nicht vollständig eingerichtet ist oder ich meine Küche optisch zum Kotzen finde und nur 2 von 4 Herdplatten funktionieren. Ich wechsle meine Perspektive zu den Teilen, die sich für mich gut anfühlen, für die ich dankbar bin, denn aus (Selbst-)Hass ist noch nie etwas Gutes gewachsen. Und den Rest ändere ich, wenn ich die Kapazitäten dafür habe. Und mich über Dinge aufzuregen, die ich nicht ändern kann, bringt mir nichts.
Aus Dankbarkeit für meinen Körper bewege ich mich, entlaste ich meine Gelenke, wenn ich es brauche, ernähre ich mich gesund und koche selbst mit Vollwertkost, obwohl ich kochen nervig finde (hier hilft Vorkochen). Aus Dankbarkeit für meine Haut, investiere ich in wenige, aber qualitativ hochwertige Hautpflegeprodukte. Weil ich lesen kann, tu ich das. Ich würde vielleicht gerne mit einer hochwertigeren Kamera fotografieren, aber bis ich mir diese leisten kann, bin ich dankbar für die, die ich habe und das zeige ich, indem ich sie nutze. Ich habe eine Tonne Bücher, für die ich dankbar bin, und deshalb lese ich sie. Ich bin dankbar, dass ich sehen kann und deshalb stehe ich einfach manchmal da und gucke. You get the idea? (Nicht, dass ich das alles schon mache, sonst hätte ich vielleicht nicht das Problem, weshalb ich angefangen habe, mich überhaupt mit dem Thema zu beschäftigen, hehe.)
Ich glaube, unglücklich und unzufrieden ist man nur, wenn man sich ständig auf das fokussiert, was nicht da ist. Ob das jetzt in Form von Reue in der Vergangenheit liegt, oder als Sorgen in der Zukunft, oder als sinnloses Starren auf das angebliche Loch, das sich in der Gegenwart vor einem aufgetan hat. (Mal ganz abgesehen davon, dass die Vergangenheit und die Zukunft halt wörtlich nicht mehr bzw. noch nicht existieren, um hier kurz auf eine existenzielle Ebene abzurutschen.)

Natürlich umfasst diese Schrift hier keine krankhaften, chronischen Störungen. Wer Medikamente einnehmen muss, um sich selbst auf ein erträgliches Level einzupendeln, der tut das und das ohne Scham und Schande. Es geht nicht darum, blind, blauäugig und naiv durch die Weltgeschichte zu wandeln und alles zu ignorieren, was einem nicht in die Suppe passt oder so zu tun, als gäbe es Probleme nicht.
Ich glaube, die westliche Welt muss in vielerlei Hinsicht noch die Farben zwischen schwarz und weiß lernen, weil die Sicht sonst ganz schön eingeschränkt ist. Denn auch, wenn Optimismus vom lateinischen Optimum kommt und das „das Beste“ bedeutet, heißt Optimismus nicht, alles Negative hirnlos auszublenden.
Optimismus ist, zumindest meiner Interpretation nach, eine Grundhaltung und die Kunst, sich auf die Sachen zu fokussieren, die man ändern kann (auch durch und mit Hilfsmitteln) und für die man dankbar ist, und sich vom Rest nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Und das kann man lernen und ausleben. Auch mit zusammengebissenen Zähnen.
Im Endeffekt kommt es darauf an, aus welcher Perspektive man Dinge tatsächlich angeht. Ein negatives Endergebnis ist nicht realistischer als ein positives. (Ließ das nochmal.) Aber etwas aus dieser Richtung anzugehen ist hilfreicher, als sich selbst von Anfang an zu sagen, dass es sowieso nicht klappt.
Für die meisten erwachsenen Menschen geht ein bisschen mehr Arbeit voraus, bis sie bei vollkommener Dankbarkeit und kindlichem Staunen ankommen. Für mich ist das auch so. Die moderne Zivilisation setzt sehr viel daran, uns unglücklich zu konditionieren. Nichts ist genug, schon gar nicht wir selbst – die schlimmste Lüge der Menschheit. Jeder Mensch ist genug. Jede Existenz hat ihre Berechtigung.
Auch, wenn es viele Möglichkeiten gibt, sich selbst zu regulieren, seine Gedanken zu sortieren, sein Nervensystem glattzubügeln, den Kompass zu rekalibrieren und sich mit seinem inneren Kind zu verbinden (und das wirklich auch alles wichtige Werkzeuge sind, um ein erfülltes und erfüllendes Leben zu führen), bin ich trotzdem der Meinung, dass, sich in Dankbarkeit zu üben, das wichtigste Tool, und nach der Erkenntnis der zweite Schritt ist, um sein Glück zu finden und zu vermehren.

Ah, und noch was, weil das natürlich nicht alles ist: 1. Müsst ihr das oft machen – dankbar sein. Richtig oft. Das menschliche Gehirn lernt nämlich durch Wiederholung und 2. durch nett sein. Doof, oder? Schon mal gemerkt, dass nichts hängen geblieben ist, als man am Esstisch abends um 21:36 Uhr von Papa bei den Mathehausaufgaben zusammengefaltet wurde? Böse zu sich selbst sein bringt einfach nichts. „Fehltritte“ mit noch mehr Wut, Angst und Stress zu bestrafen, macht es nur schlimmer. Einmal ausatmen, einmal einatmen, nochmal aus- und nochmal einatmen, und nochmal, und sich dann selbst sagen, dass es okay ist. Denn das ist es. Wir machen das hier (das LEBEN, Junge, die Erfahrung des menschlichen Lebens) alle zum ersten Mal. Ist schon okay. Fehler passieren. Machen wir beim nächsten Mal besser.

LG, viel Erfolg und tschüss 🙂

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